China stemmt sich gegen die Dollar-Schwemme

Von Andreas Lorenz, Peking

Die VR China fürchtet, dass Washington mit einer Dollar-Schwemme ihre hart erarbeiteten Devisenreserven gefährdet und verlangt eine Radikalreform des internationalen Währungssystems

Auf dem G-20-Gipfel demonstriert China Selbstbewusstsein. Ein neues internationales Finanzsystem und mehr Mitsprache für Peking und die Entwicklungsländer – das sind die Vorgaben, die die Volksrepublik bei dem Spitzentreffen in London erreichen will. «Der Gipfel sollte ein klares Ziel, einen Zeitplan und die Richtung bestimmen», verlangte Vizepremier Wang Qishan kurz vor seiner Abreise nach Europa.

Die Chinesen sehen den G-20-Gipfel als grosse Chance: politisch, um sich endgültig als wichtiger Spieler auf der internationalen Bühne zu etablieren. Und wirtschaftlich, um eine grössere Rolle zu verlangen, für sich selbst, aber auch für die Habenichtse und die Schwellenländer. Denn wie zu Maos Zeiten versteht sich Peking heute noch als Fürsprecher der von «hegemonialen Mächten» drangsalierten Dritten Welt.

China ist die Bank Amerikas

Sonst bei internationalen Konferenzen im Auftritt eher zurückhaltend und diplomatisch vorsichtig, wollen Chinas Funktionäre jetzt in London den Ton angeben. Die Welt, verlangte etwa Pekings Notenbankpräsident Zhou Xiaochuan im Vorfeld, brauche eine neue internationale Reservewährung. Diese Rolle sollten die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF) übernehmen.

Bislang sind die Sonderziehungsrechte eine Art künstliche Währung, eine Recheneinheit, die den 185 IWF-Mitgliedern die Devisenbeschaffung erleichtern soll. Zusammengesetzt sind sie aus Euro, Dollar, britischem Pfund und japanischem Yen. Täglich um 12 Uhr Londoner Zeit wird ihr Wechselkurs zu den realen Währungen festgelegt.

Die globale Krise erfordere eine «kreative Reform des bestehenden internationalen Währungssystems», mit einer Reservewährung, die «stabil» und deren Nachschub leicht zu handhaben sei und die nach «festen Regeln» ausgegeben werde, erklärt Zhou seine Vorliebe für die Sonderziehungsrechte. Die «Hinnahme einer Währung als internationale Reserve, die auf Krediten basiert», sei ein «seltener Fall in der Geschichte», befand er – und attackierte damit die weltweite Leitwährung, den Dollar.

Zhous Vorstoss spiegelt den Ärger der Chinesen über die ihrer Meinung nach verantwortungslosen Politiker und Banker in Washington wider, die Schuld an der globalen Finanzkrise trügen und die Dritte Welt womöglich mit in den Abgrund rissen. «Sie wollen aus dem Schlamassel heraus, sie sind sehr besorgt», beschrieb die für Aussenbeziehungen zuständige EU-Kommissarin, Benita Ferrero-Waldner, Anfang der Woche in Peking die Stimmung ihrer Gastgeber.

China fordert Gegenleistungen

Dabei steht Chinas Wirtschaft nach Einschätzung heimischer Finanzexperten noch relativ gut da. In diesem Jahr dürfte sie, wenn auch nicht um die offiziell angekündigten acht Prozent, so doch um fünf bis 6,5 Prozent wachsen. Um das angekündigte Konjunkturprogramm von 460 Milliarden Euro zu finanzieren, muss sich Peking nur bis zu rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschulden.

Wer mit solch vergleichsweise soliden Werten anderen Staaten aus der Krise helfen soll, sagen KP-Funktionäre, muss dafür auch etwas als Gegenleistung erhalten, zum Beispiel beim IWF. «Als drittstärkste Wirtschaftsmacht und Eigentümer der weltgrössten Devisenreserven sollte China einen entsprechenden Rang in der Währungsorganisation erhalten», sagt Yi Xianrong von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Tatsächlich ist die Volksrepublik beim IWF stark unterrepräsentiert. Sie besitzt derzeit nur 3,7 Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: Der Anteil der gesamten EU liegt bei 32 Prozent, der von Indien bei 1,9 Prozent.

Zudem stört die Chinesen die Dominanz der Amerikaner: Mit rund 17 Prozent der Stimmrechte kann Washington de facto wichtige Entscheidungen blockieren. Unklar ist, welchen Anteil am IWF Peking letztendlich anpeilt. Da Chinas «Volkswährung» (Renminbi Yuan) international nicht frei umtauschbar ist, dürften die Chinesen kaum ein grosses Stück vom Kuchen erhalten – zumal unklar ist, welche Staaten bereit sind, Anteile abzugeben.

Furcht vor der Notenpresse

Staats- und Parteichef Hu Jintao wird in London bei seinem ersten Treffen mit US-Präsident Barack Obama daher vermutlich auch Garantien verlangen, dass die Amerikaner Chinas Einlagen in den USA nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. «Natürlich sind wir über die Sicherheit unseres Vermögens besorgt», hatte Premier Wen Jiabao Anfang März eingestanden.

Konkret fürchten die Chinesen, die Amerikaner könnten zu viele Dollar drucken, um ihre eigene Wirtschaft anzukurbeln – und damit mittelfristig eine heftige Inflation auslösen. Nicht gerade beruhigend wirkte Washingtons Ankündigung, nun auch «Giftpapiere» der Banken aufzukaufen.

Verliert der Dollar aber an Wert, würde auch Pekings Vermögen kräftig schrumpfen. Inzwischen halten Chinas Banker in den USA Staatsanleihen im Wert von rund 740 Milliarden Dollar. Das entspricht rund 40 Prozent der gesamten Devisenreserven der Volksrepublik. Damit finanzierte Peking in den vergangenen Jahren Amerikas Schulden – wenn auch notgedrungen: Irgendwo mussten die Chinesen die Einnahmen aus ihren Exporten in die USA anlegen.

«Wir hassen euch»

Auch für die nahe Zukunft sehen sie keine andere Möglichkeit, ihre Devisen sinnvoll unterzubringen: «Was kann man noch besitzen ausser US-Schatzbriefe?», fluchte etwa Luo Ping, Chef der chinesischen Bankenaufsicht vorige Woche in New York in einer für einen KP-Funktionär ungewohnt offenen Sprache. «Gold? Man schafft sich doch keine japanischen oder britischen Schatzbriefe an.» Für alle, inklusive China, seien die amerikanischen Papiere die einzige Wahl. «Wir wissen, dass der Dollar an Wert verlieren wird, also hassen wir euch, aber wir können nichts anderes tun.»

Auch Andy Xie, Shanghaier Finanzexperte, sieht das so: «China ist eine Geisel», sagt er. «China ist die Bank Amerikas, und Amerika sagt im Grunde: Du kannst mir nichts tun. Wenn ich untergehe, kriegst du dein Geld nicht zurück.»

Ein Ausweg für China wäre da womöglich der IWF. Um ihn zu stärken und finanziell aufzupäppeln, ist Peking offenkundig bereit, nach dem Vorbild Japans hundert Milliarden Dollar in seine Kassen zu zahlen. «Wir unterstützen den Plan, die Mittel für den IWF zu erhören und werden entsprechend unserer Fähigkeiten unseren Beitrag leisten», kündigte Vizepremier Wang an. Die Vizechefin der Zentralbank, Hu Xiaolian, schlug vorige Woche die Ausgabe von IWF-Anleihen vor – wohl auch mit dem Hintergedanken, die künftigen Devisenüberschüsse nicht mehr in US-Schatzbriefen, sondern in IWF-Fonds anlegen zu können.

Notenbankchef Zhou hält für seine Idee einer neuen Weltwährung «ausserordentliche politische Visionen und Mut» erforderlich. Gleichzeitig warnen Fachleute jedoch davor, sie allzu ernst zu nehmen. Auch Zhou und seine Leute wüssten, heisst es in Peking, dass es derzeit keine Alternative zum Dollar gibt. «Eine Reform muss auf der Realität basieren», sagt Yi Xianrong von der Akademie für Sozialwissenschaften. «Unsere Anstrengungen sollten deshalb vom gegenwärtigen internationalen Währungssystem ausgehen, in dem der Dollar noch dominiert.»

Aus: Spiegel online, 1. April 2009